Chemoende oder wie soll man das nennen?

Heute hat in der Tagesklinik alles super geklappt. Erik kennt die Untersuchungen schon auswendig und ist lustigerweise manchmal den Ärzten beim Neurostatus schon eine Sekunde voraus. Ebenso professionell zupft er nach Abschluss der Chemoinfusion beim Entfernen des Pflasters rund um den Venflon an allen Ecken des Pflasters, bis die Krankenschwester den Venflon herausziehen darf. Das Lösen des Pflasters tut ihm nämlich mehr weh, als das Rausziehen der Kanüle.
Nachdem Blut- und Entzündungswerte in Ordnung waren, sowie der Covid Test negativ – beginnt das Warten auf die Chemo. Die wird nämlich erst nach dem Befund der Blutwerte „bestellt“.
Währenddessen sitzen wir auf der roten Couch in der Tagesklinik und sehen fern. Recht viel mehr kann man momentan nicht mehr machen … vor Pandemie- Zeiten gab es immer viel Bastel- & Spielangebote, das geht uns jetzt schon sehr ab. Aber wir kuscheln auch, ich massiere und streichle auf Wunsch die Füße und wir quatschen auch sehr viel.
Ich zähle ja schon die Tage bis zum Chemoende Mitte Mai, ich brauche das Herunterzählen. Freudig sage ich: „Wieder eine Chemo geschafft und du bist näher am Chemoende. Dann kannst du endlich deine Freunde in der Schule wiedersehen und ganz normal leben.“
„ Chemoende … das klingt so nach Grab.“, meint Erik und löst zuerst einen Schockmoment in mir aus und dann ein Nachdenken. „Chemoende klingt wirklich nicht gut.“, meine ich und denke darüber nach wie man das besser sagen könnte und wundere mich auch etwas darüber, dass er mit diesem nahen Ziel in Sicht so gar keine Freude zeigt. Ich vermute mal, weil die letzten 19 Monate Chemo für uns alle neuer Alltag geworden ist. Diese letzten 19 Monate waren geprägt vom Alltagsleben zuhause und den Chemoinfusionen im Krankenhaus. Es gab keine richtigen Pausen, außer unsere beiden kurzen Auszeiten am Sterntalerhof. Das Leben rund um die Chemotherapie ist für uns drei zum neuen Alltag geworden. Vertraut und strukturgebend. Nicht mal Amelie kann sich mehr daran erinnern wie unser Leben vor der Chemo war, sagt sie immer wieder.
Das Ende wird ein Neubeginn. Ein Zurückfinden. Sogar für mich ist die Vorstellung seltsam, dass ich Erik mal wieder von der Schule abhole. Ihn im Schulgarten suche und ihn mit roten Wangen erhitzt beim Spielen mit den Anderen entdecke. Wenn das Bild davon in mir auftaucht … laufen mir Tränen über die Wangen. Er hat nur die 1. Klasse Grundschule besucht und seither ist er zuhause. Im Herbst wird er wieder in seine 4c- Klasse einsteigen – als ganz normales Schulkind.
„Am meisten freue ich mich auf‘s Kino.“, meint Erik und unterbricht damit meine Gedanken, „Das möchte ich als Erstes machen.“ „ Das ist dir sehr wichtig, nicht wahr? Dann machen wir das.“, antworte ich und hoffe insgeheim, dass die Kinos Ende Mai wieder offen sind und alles einen Neuanfang bekommt.

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